IV-GS Neumayer/IV-Chefökonom Helmenstein: Heimische Industrie trägt den Aufschwung – Erreichbarkeit von Nah- und Fernmärkten Schlüsselfaktor für wirtschaftliche Erholung
„Falls die Impfstrategie zügig weiterläuft, stehen wir vor einem kräftigen Aufschwung – getragen von der heimischen Industrie“, fasste Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) heute, Donnerstag, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Chefökonom Christian Helmenstein die aktuelle wirtschaftliche Situation zusammen. Der Internationale Währungsfonds erwarte mit rund 6 Prozent das größte weltweite Wachstum der vergangenen 50 Jahre. „Getragen wird es von den USA und China. Wir sprechen hier von etwa sechseinhalb bis achteinhalb Prozent Wachstum. Europa nimmt sich dagegen mit etwa halb so viel eher bescheiden aus. Umso mehr müssen wir jetzt dafür Sorge tragen, nicht vollends abgehängt zu werden“, so Neumayer.
Was Österreich betrifft, so sei gerade für die exportorientierten Betriebe der globale Aufschwung von größter Bedeutung. „Die Erreichbarkeit von Nah- und Fernmärkten bleibt aber ein Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche Erholung. Die Priorisierung von industriellen Schlüsselarbeitskräften in der Impfstrategie wäre daher ein Gebot der Stunde. Jeder Tag, den wir hier verlieren, kostet Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze. Hoch an der Zeit wäre daher auch die Nutzung betrieblicher Ressourcen im Rahmen der Impfstrategie – weit über 1.000 Unternehmen haben hier schon Bereitschaft signalisiert. Das sollte man dringend nutzen“, wie der IV-Generalsekretär erneut betonte.
Der Comeback-Plan der Bundesregierung biete gute Ansätze und setze richtige Schwerpunkte zur Überwindung der wirtschaftlichen Krisenfolgen. „Gemeinsam mit der europäischen Ebene – Stichwort: EU-Wiederaufbaufonds – kann der Wirtschaftsstandort davon sehr profitieren“, ist Neumayer überzeugt, der hinzufügte: „Was wir jetzt vor allem brauchen, sind attraktive Rahmenbedingungen und ein Klima, das Investitionen am Standort fördert. Dazu müssen wir auf Entlastung und Wettbewerbsfähigkeit setzen, indem wir etwa bei der Steuer- und Abgabenquote inklusive Lohnnebenkosten rasch auf ein international verträgliches Niveau kommen.“ Konkret gehe es zudem um die Stärkung des Eigenkapitals, damit Unternehmen noch resilienter werden können. In puncto Fachkräfte regt die IV die Idee einer Fachkräfteagentur an, die die mittel- und langfristige Fachkräfteentwicklung in Österreich steuert.
„Global hat dieser Aufschwung längst eingesetzt“, erklärte IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Das belegt etwa der RWI/ISL-Containerumschlag-Index: Demnach hat der Welthandel sein Prä-COVID-Niveau bereits deutlich überschritten. Auch der vom Institute for Supply Management veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für die Neuauftragseingänge in der US-Industrie deutet mit einem Wert jenseits der 60 Punkte auf den Beginn einer Boomphase. Zudem verweist Helmenstein auf die Preise wichtiger Industrie-Rohstoffe, wie Kupfer oder Eisen, die bereits „Hochkonjunkturniveau erreicht“ haben. Interessantes Detail: Während die Effekte der COVID-19-Pandemie auf den Welthandel binnen vier Monaten bereits weitgehend überwunden wurden, waren dazu nach der Lehman-Krise 2008/09 acht Quartale erforderlich.
Industrie überschreitet Vor-Krisen-Niveau
Für die stark exportorientierte heimische Industrie sind das grundsätzlich gute Nachrichten. „Zum ersten Mal in der Neuzeit trifft eine konjunkturelle Großkrise nicht primär die Industrie, sondern vor allem den Dienstleistungssektor“, erörtert Helmenstein. Während Österreichs Industrie im ersten Quartal 2021 das Prä-COVID-Produktionsniveau nachhaltig überschritten haben dürfte, wird die gesamte Volkswirtschaft aus heutiger Sicht mindestens fünf Quartale länger benötigen.
„Die Industrie hat die Pandemie professionell gemeistert und inzwischen die Rolle der Wachstumslokomotive für Österreich übernommen. Allerdings gilt es zwischen den Branchen zu unterscheiden“, lautet die Analyse des Ökonomen. Eine besonders kräftige Erholung war für die Fahrzeugindustrie und die chemische Industrie zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu sind jene Bereiche stark getroffen, die unter den Corona-Maßnahmen direkt oder indirekt leiden, wie etwa die Luftfahrtzulieferer oder die Brauereien.
Die Ergebnisse der aktuellen IV-Konjunkturumfrage
Das IV-Konjunkturbarometer, welches als Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, büßt rund 6 Punkte ein und sinkt von 26,2 auf 19,4 Punkte. Dieser Rückgang ist ausschließlich auf die vorsichtigere Einschätzung der Geschäftserwartungen auf Sicht von sechs Monaten zurückzuführen. Der Echoeffekt früherer Versäumnisse und Sorgen vor erneuten Rückschlägen bei der Implementierung einer effektiven Test-, Tracing- und Impfstrategie drücken auf die Konjunkturstimmung, sodass der betreffende Wert von 27 auf 19 Punkte zurückgeht. Getragen von der internationalen Konjunkturerholung sowie den Impulsen aus der Investitionsprämie in Österreich ist bei dem aktuellen Geschäftsgang im Vergleich zum Vorquartal hingegen eine weitere kräftige Verbesserung von 26 auf 52 Punkte zu verzeichnen.
Die wesentlich verbesserte Geschäftslage hängt vor allem mit den erneut deutlich gestiegenen Gesamtauftragsbeständen zusammen, bei denen eine Zunahme von 29 auf 54 Punkte zu verzeichnen ist. Nach einem besonders kräftigen Impuls im vorhergehenden Quartal steckt die Komponente der Auslandsaufträge demgegenüber etwas zurück, deren Wert von 28 auf 46 Punkte zulegt. Vor dem Hintergrund einer zehnprozentigen Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar binnen Jahresfrist ist dies dennoch ein bemerkenswert kräftiger Zuwachs.
Aus diesen Gründen liegen die Produktionserwartungen in saisonbereinigter Betrachtung nunmehr bei 33 Punkten und damit auf einem Wert, der ein kräftiges Anziehen der Produktion im weiteren Verlauf des Frühjahrs erwarten lässt. Damit zusammenhängend verbessert sich der Indikator für den Beschäftigtenstand geradezu sprunghaft von -3 auf +27 Punkte und rangiert im Zuge eines Vorzeichenwechsels nunmehr wieder in weit positivem Terrain. Am Arbeitsmarkt realisiert sich nun binnen kurzer Zeit die an dieser Stelle wiederholt avisierte, scheinbar paradoxe Entwicklung eines Nebeneinanders von hoher Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit einerseits und eines sich rasch verschärfenden Fachkräftemangels andererseits. Letzterer wird sich bei einer Fortsetzung des Aufschwungs schon bald als Expansionsbremse erweisen.
Bei den erzielbaren Verkaufspreisen rechnet ein immer größerer Anteil der Respondenten mit einem Aufwärtstrend (Saldo +25 nach +7). Hier spiegelt sich einerseits die starke globale Nachfrage nach bestimmten Industrieprodukten, beispielsweise Halbleitern, wider, andererseits sehen sich weite Teile der Wirtschaft mit der Notwendigkeit konfrontiert, die stark gestiegenen Rohstoffpreise an ihre Abnehmer auf den jeweiligen Verarbeitungsstufen weiterzugeben.
Die mit Ausnahme einzelner Wirtschaftszweige erheblich verbesserte Auslastung beginnt die Ertragslage der Unternehmen zu stärken (Saldo +26 nach +3). Die weniger optimistische Einschätzung der mittelfristigen Konjunkturaussichten bedingt allerdings einen Rückgang der Ertragsperspektiven auf sechs Monate (Saldo +9 nach +16). Dennoch behauptet sich der Indikator im positiven Bereich, sodass nach einer langen Durststrecke von über zwei Jahren nunmehr wieder die Voraussetzungen für einen investitionsgetragenen Aufschwung in Österreich gegeben sind.
Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode
An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 411 Unternehmen mit rund 283.700 Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt folgende Methode zur Anwendung: Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.
Die Zahlen und Grafiken zur aktuellen IV-Konjunkturumfrage finden Sie HIER