IV-Steiermark-News

Energiepreissituation: Zeit wird zum kritischen Faktor

Die Politik muss rasch einen Rahmen sicherstellen, in dem Unternehmen in der Energiekrise bestehen können. Europa und Österreich verlieren massiv an Wettbewerbsfähigkeit. Änderungen in Energiemärkten, Existenzsicherung für Betriebe und Infrastrukturmaßnahmen zur Sicherung von Kapazitäten für die kommenden Jahre gefordert. 

Die Industrie in der Steiermark steht vor der größten Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte. Die Industriellenvereinigung Steiermark (IV) weist darauf hin, dass sich die Energiekosten seit Monaten auf einem derart hohen Niveau bewegen, dass in immer mehr Unternehmen konkrete Pläne zur Abschaltung von Produktionsteilen oder gar ganzer Produktionen ausgearbeitet werden müssen. Binnen eines Jahres haben sich die Preise auf den Spotmärkten für Strom versechsfacht, jene für Gas sogar verzehnfacht. Eine Erhebung der IV-Steiermark hat ergeben, dass in energieintensiven Branchen der Energiekostenanteil an den Herstellkosten von ursprünglich 15 Prozent auf 50 Prozent, zu Spitzenzeiten sogar auf 80 Prozent gestiegen ist.

 Diese Energiepreise können immer öfter nicht weitergegeben werden – Kunden bedienen sich zusehends Lieferanten aus anderen Regionen der Welt. Steirische Unternehmen verlieren an Wettbewerbsfähigkeit. Denn die Energiepreise bewegen sich außerhalb Europas auf nicht vergleichbaren Niveaus: So können beispielsweise US-amerikanische Produzenten Energie zu Preisen einkaufen, die rund einem Siebentel jener in Europa entsprechen. „Alle Konjunktur-Indikatoren zeigen nach unten – die meisten von ihnen deutlich. Wir müssen davon ausgehen, dass der Herbst und das Frühjahr enorm herausfordernd werden, es droht uns eine Rezession in Europa“, betont Stefan Stolitzka, Präsident der IV-Steiermark. Und Stolitzka weiter: „Wir haben das Gefühl, dass die volle Tragweite der Situation vielen Entscheidungsträgern in Österreich nicht bewusst ist.“

Kein Marktversagen, sondern Krieg 
Die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe und Lenkungsmaßnahmen ist aus Sicht der IV in der aktuellen Lage völlig neu zu bewerten. „Es herrscht Krieg in Europa – das, was wir erleben und womit wir umgehen müssen, ist die Bewerkstelligung der Folgen des Krieges. Das hat mit funktionierenden oder versagenden Märkten nichts zu tun“, betont Stolitzka. „Ein Staat, Russland, ist der Auslöser für den Krieg in der Ukraine und Auslöser der Krise auf den Märkten, allen voran dem Energiemarkt. Staaten wie Österreich und die Europäische Union sind gefordert, die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen so gut es geht abzufedern“, so Stolitzka.

EU-Ebene: Zeit des Diskutierens ist vorbei
Ein wichtiger Schritt, der auf europäischer Ebene dringend zu setzen ist, ist die Entkoppelung von Gas- und Strompreis. Ein weiterer, nicht minder wichtiger ist die Begrenzung der Kosten für Strom und Gas. Zwei Instrumente, die dringend umgesetzt werden müssen, um dies zu erreichen sind der temporäre Ausgleich beim Gaspreis („Extreme-Peak-Modell“) und die Begrenzung des Strompreises („Strompreis-Cap“). Für eine solche Lösung muss sich die österreichische Bundesregierung mit Nachdruck auf europäischer Ebene einsetzen. „Die Zeit des Diskutierens ist vorbei, es braucht jetzt eine Lösung, auf die wir seit März warten“, appelliert der IV-Steiermark Präsident.

Nationale Ebene: Maßnahmen in Umsetzung bringen
Zur Stärkung der Liquidität betroffener Unternehmen braucht es rasche und unbürokratische Hilfe, insbesondere einen im Volumen ausreichend ausgestatteten Energiekostenzuschuss. Außerdem muss das Instrument der Kurzarbeit von einem am Papier funktionierenden zu einem in der Praxis anwendbaren Instrument umgebaut werden. „Wenn Betriebe ihre Mitarbeiter in dieser schwierigen Zeit nicht mit Hilfe von Kurzarbeit binden können, gefährdende wir deren Möglichkeit, die Produktion in stabileren Zeiten wieder hochfahren zu können. Kurzarbeit muss als Instrument verstanden werden, mit dem Unternehmen abgesichert werden können und wir dem Verlust von energieintensiven Branchen in Österreich entgegenwirken können. Es ist ein standortpolitisches und kein rein arbeitsmarktpolitisches Instrument“, unterstreicht Stefan Stolitzka.   

Maßnahmen zur Kapazitätsbeschaffung in Österreich und Europa setzen
Bedarf besteht auch im strategischen Ausbau der technischen Gas-, LNG- und in weiterer Folge Wasserstoffinfrastruktur, um die heimische Versorgung von Haushalten, Wirtschaft und Industrie kurz-, mittel- und langfristig abzusichern. Hierfür ist die Beteiligung an europäischen LNG- (und zukünftig Wasserstoff-) Terminals, etwa in Deutschland, Italien, Kroatien oder den Niederlanden essenziell. Hinzu kommt die Beschaffung von Pipeline- und Speicherkapazitäten und deren Anbindung an das heimische Gasnetz. „Dafür sind eine große politische Initiative und eine Grundsatzvereinbarung auf Regierungsebene zwischen Österreich und Italien sowie mit Kroatien und Slowenien erforderlich“, unterstreicht Stolitzka.


Hintergrundinformation „Extreme-Peak-Modell“
Mit dieser Maßnahme sollen Kosten, die beim Gaseinkauf entstehen, ab einer gewissen Grenze staatlich subventioniert werden. Dadurch wird einerseits rasch Entlastung für die akut getroffenen Betriebe geschaffen und andererseits auch Planungssicherheit für die Kalkulation in der Produktion. Das Modell soll EU-weit zur Anwendung kommen. Darüber hinaus entsteht durch die Umsetzung dieses „Extreme-Peak-Modells“ nicht die Gefahr eines Quasi-Embargos für russisches Gas, wie es bei einem reinen Preisdeckel der Fall wäre.

 Hintergrundinformation „Strompreis-Cap“
Der Strompreise ist durch einen temporären (möglichst) EU-weit akkordierten staatlichen Eingriff zu begrenzen und vom Gaspreis zu entkoppeln. Dazu ist auf Basis der bestehenden Merit Order ein Höchstpreis für Strom durchzusetzen, etwa indem der Gasverbrauch für Kraftwerke staatlich gestützt wird. Ein solcher Eingriff ist durch verbrauchsseitige Maßnahmen zu unterstützen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Mittelfristig hat eine Anpassung der bestehenden EU-weiten Regeln des Strommarktdesigns zu erfolgen. Diese Anpassung sollte nur temporär wirken und das Grundprinzip der marktbasierten Strompreisbildung nicht grundsätzlich verworfen werden.