Pressemeldungen IV-Steiermark

Auszug aus der Neujahrsrede von Präsident Stefan Stolitzka

2024 ist da. Wie überall zu lesen ist, wird es ein Super-Wahljahr. 

Ich gestehe, ich habe Sorge, ob 2024 tatsächlich so ein super Wahljahr werden wird. Wir starten in dieses Jahr, während die politische Mitte wegbricht.  – Nicht nur in Österreich – in vielen Ländern Europas und der Welt. Willi Brandt sagte ehedem: „wer die politische Mitte verliert, kann keine Wahlen gewinnen“. Das bereitet mir Kopfzerbrechen. Vor allem in einer Zeit, in der wir enorm gefordert sind: Wir erleben gerade zeitgleich drei historische Transformationen.

Die grüne, die digitale und eine geopolitische. 

Jede dieser Transformationen für sich wäre eine epochale Herausforderung. Wir haben alle drei vor uns bzw. befinden uns schon mitten in ihnen. So, wie wir die grüne Transformation gerade umsetzen, bezweifle ich, ob wir sie erstens erfolgreich gestalten und ob wir so, zweitens, unseren Wohlstand nicht massiv gefährden.

Wir haben es leider noch immer nicht geschafft, von einer ideologisch geprägten auf eine sach- und zielorientierte Handlungsebene zu kommen. Sonst würden wir vielleicht auch bei Treffen wie der UN-Weltklimakonferenz jüngst in Dubai, weniger Aufmerksamkeit auf demonstrierende NGOs lenken. Und mehr auf Technikerinnen und Techniker sowie deren Vorschläge. Ja, wir handeln leider immer noch viel zu dogmatisch. Zu wenig lösungsorientiert. Zu wenig technologieoffen. Wir verharren in der Pose, im Alleingang die Welt retten zu wollen. Aber wer Dinge im Alleingang versucht, bleibt dabei – alleine.

Wir müssen erkennen, dass wir so unsere wirtschaftlichen Lebensadern kappen. Und die wichtigste Lebensader - nicht nur der Steiermark, sondern Europas insgesamt - ist die Industrie. Und die setzen wir gerade aufs Spiel.

Wenigstens im Bereich Carbon Capture and Storage und Carbon Capture and Utilisation, CCS und CCU, sieht man in Europa die Dinge zunehmend klarer. Wir werden diese Lösungen benötigen bis insbesondere Wasserstoff in ausreichendem Maße verfügbar ist. Jedenfalls in den Branchen, die „hard to abate“ sind. In Österreich ist man da leider noch nicht so weit. Hier hat man eine eigene – um nicht zu sagen eigenwillige – Sicht auf die Dinge. Zumindest ein Teil der Regierung will noch immer nicht verstehen, dass wir uns alle technologischen Wege offenhalten müssen.

Stattdessen bringt genau dieser Teil der Bundesregierung immer wieder das Klimaschutzgesetz als Faustpfand in verschiedene Verhandlungen ein. Ein Gesetz, das tief in unsere Verfassung und in unsere demokratischen Prozesse eingreifen würde. Ein Gesetz, das die Investitionstätigkeit in Österreich sehr rasch stoppen würde. Fragt man die Industriellenvereinigung nach der „roten Linie“ bei diesem Klimaschutzgesetz, fällt uns die Antwort leicht. Das Klimaschutzgesetz an sich ist die rote Linie.

Die zweite Transformation, die digitale, ist seit unserem letzten Neujahrsempfang dank Chat GPT auch in der breiten Öffentlichkeit angekommen.

KI ist nicht unsere Zukunft, KI ist unsere Gegenwart.

Wird die digitale Transformation Arbeitsplätze kosten? Immer mehr Studien sagen: Ja. Aber sie wird auch neue schaffen. Beruhigt uns das?  Nur bedingt. Was diese Studien und unsere Erfahrung als Industrie nämlich auch zeigen: Die digitale Transformation wird nicht überall neue Arbeitsplätze schaffen, sondern nur dort, wo Veränderungen verstanden und genutzt werden. Wo Menschen mit den richtigen Qualifikationen vorhanden sind.

Die digitale Transformation wird dort gelingen, wo Investitionen betriebswirtschaftlich sinnvoll und in einem planungssicheren Rahmen realisiert werden können. Wir und unser standort-, wie auch bildungspolitischer Rahmen werden darüber entscheiden, in welche Richtung wir uns als Region entwickeln.

Unsere Basis ist gut. Das aber ist Chance und Gefahr zugleich:

Denn nichts ist gefährlicher, als sich in falscher Sicherheit zu wiegen. An Strukturen der Vergangenheit zu klammern, weil sie Erfolg hatten, heißt nicht, dass diese in Zukunft den Erfolg garantieren. Es ist falsch, jetzt unsere gemeinsame Zukunft aus den Augen zu verlieren, um kurzsichtig partikulare Interessen zu maximieren. In einer Welt der Transformationen ist der Erfolg schneller wegtransformiert, als einem lieb ist, wenn man nicht mitdenkt.

 Das bringt mich unweigerlich zu den vergangenen Kollektivvertragsverhandlungen in der metalltechnischen Industrie. Wir leben in einer Welt, die sich in den vergangenen 50 Jahren massiv verändert hat. Dem stimmt auch jeder Arbeitnehmervertreter, mit dem ich spreche, uneingeschränkt zu. Warum wir unsere Lohnfindung dennoch nach einem Uralt-Ritual betreiben und eine Formel anwenden sollen, die aus den 1960ern stammt, kann mir aber niemand ernsthaft erklären. Das Ritual der Verhandlungen und diese Formel haben ihr Ablaufdatum weit überschritten. Wir können nicht immer nur ergriffen von Veränderung reden – wir müssen sie leben. Auch in der vielgelobten Sozialpartnerschaft.

Den Stil der Verhandlungsführung, die eigenwillige Wertung über die an sich neutrale Wirtschaftsforschung, die Forderung nach „moderaten“ 11,6% mitten in einer Rezession, und die Verhandlungen und deren Zeitpunkt im öffentlichen Sektor will ich gar nicht erst kommentieren. Im Rückblick auf die Entwicklungen im Herbst drängt sich für mich die Frage auf, wie wir gemeinsam die Zukunft meistern wollen.

Wie wollen wir gemeinsam die Menschen in unserem Land in eine gute Zukunft führen, wenn wir Partnerschaft, in dem Fall Sozialpartnerschaft, so verstehen, dass diejenigen, die verhandeln, die ersten sind, die von Streiks oder sogar persönlichen Drohungen betroffen sind? Und das Ergebnis? Die Produktionsgewerkschaft hat am Tag der Einigung im FMTI verlautbaren lassen: „Wir konnten wichtige Weichen für die Zukunft stellen.“ Wenn ich die Höhe des Abschlusses mit jener anderer Länder, allen voran Deutschland, vergleiche, sehe ich auch eine Weichenstellung. Allerdings nicht die in eine gute Zukunft.

Ich bin überzeugt, dass sich die österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Verhandlungen verdient hätten, bei denen die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und damit Sicherheit ihrer Arbeitsplätze eine wesentliche Rolle spielen. Heuer war das für die Gewerkschaft ganz offensichtlich kein Kriterium. In diesem Umfeld möchte ich meinen besonderen Dank an alle Arbeitgebervertreter richten, die sich in diesen Verhandlungen einsetzen. Nicht nur für die Industrie. Auch für den Standort und damit für die Menschen in Österreich.

Es ist aber nicht das Klima der KV Verhandlungen alleine.

 Das, was in der aktuellen bundespolitischen Diskussion geboten wird, lässt nichts von dem erkennen, was meiner Meinung nach für eine erfolgreiche Gestaltung der Transformationen nötig sein wird. Ich sehe das aktuelle Niveau der Auseinandersetzung im Nationalrat als den Tiefpunkt, den ich persönlich in diesem Zusammenhang beobachten musste. Ein harter und kontroversieller politischer Diskurs ist wichtig und gut. Am Ende müssen aber immer Mitbewerber und auch Partner übrigbleiben. Wir bewegen uns allerdings in einem Klima, an dessen Ende nur noch Feindseligkeit übrigbleiben kann. Wer soll da noch mit wem regieren können? Wer soll da mit wem die Transformationen in Österreich begleiten und gestalten?

Wir haben uns eines der wichtigsten Argumente für Investitionen in Österreich genommen. Die Stabilität Österreichs. Zahlen belegen das auch bereits. Die Investitionen wandern ab, erfolgen anderswo. Und das zu einer Zeit, in der die gesellschaftliche Stabilität ein noch höheres Gut wäre als sonst. Denn wir leben auch in einer Zeit der geopolitischen Transformation, auf die ich an dieser Stelle nur mit einem Satz eingehen werde: Europa muss verstehen, dass es nicht mehr das geopolitische Zentrum der Welt ist und seine Diplomatie, seine Handelspolitik und die Vertretung seiner Interessen dementsprechend neu ausrichten muss. Ich fürchte, dass haben in Brüssel und Straßburg noch nicht alle Entscheider verstanden.

Die standortpolitische Leidensfähigkeit vieler Unternehmen geht dem Ende zu. Wir müssen ein neues Verständnis dafür bekommen, dass wir der Entwicklung der Qualität unseres Industriestandortes eine Wende zu geben haben.

Werden die drei Transformationen zu drei Krisen? Werden die drei Krisen zu einer Megakrise? Ich sehe es nicht als gegeben, dass das so sein muss. Ich appelliere an Politikerinnen und Politiker, einen gemeinsamen Weg der politischen Mitte zu finden, um ein Wegbrechen der gesellschaftlichen Mitte zu verhindern. Die Parteien der Mitte dürfen nicht gegeneinander arbeiten, sondern müssen sich gemeinsam überlegen, wie sie die Stärke der Mitte wiederfinden können. Um Österreich insgesamt zu festigen.

Dies betrifft den Umgang mit Leistung, Leistungsträgern und unternehmerisch tätigen Menschen ebenso wie den Umgang mit illegaler Migration und im Gegensatz dazu qualifiziertem Zuzug. Natürlich richte ich diesen Appell besonders an die anwesende Politik. Weil ich sie heute direkt ansprechen kann und weil ich in dieser Frage der steirischen Landespolitik unendlich viel mehr zutraue als ihren Kolleginnen und Kollegen auf anderen politischen Ebenen. Ich vertraue in unsere Landespolitik – sehe aber die Zeit dahinrinnen, die uns für die erfolgreiche Gestaltung der Transformationen bleibt.

Und ich vertraue in unsere Industrie. Weil, das wissen Sie, unsere Industrie seit jeher Veränderungen gestaltet und geprägt hat. Und Gegensätze in Balance gebracht hat. Dass das auch in Zukunft gelingt, wird umso wichtiger, weil wir die Rolle des Staates in der Wirtschaft wieder auf das reduzieren müssen, was sie ist. Die Bereitstellung eines planbaren und rechtssicheren Rahmens, in dem sich die Wirtschaft zum Wohle aller entfalten kann. Und bitte werden wir uns wieder darüber bewusst, welche Rolle Unternehmen in einer Marktwirtschaft, die wir ja Gott sein Dank noch haben, spielen. Und welche nicht.

Ist es die alleinige Aufgabe von Unternehmen, im Form von Lohnerhöhungen die wie auch immer hohe Inflation abzugelten bzw. die Kaufkraft zu erhalten? Nein, ist es nicht.

Ist es die Aufgabe von Betrieben, europäische Werte weltweit zur Ausrollung zu bringen, bürokratisch zu dokumentieren und sanktioniert zu werden, wenn ihnen das nicht gelingt? So wie es in der EU-Lieferketten-Richtlinie vorgesehen ist. Nein, ist es nicht.

Ist es unsere ureigenste Aufgabe, Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen, wenn die öffentliche Hand trotz Abgabenquote von 43 Prozent des BIP es nicht ausreichend tut?

Ist es unsere Aufgabe, den Klimawandel in einem Rahmen, den sich technikferne und ideologiegetriebene Politikerinnen und Politiker vorstellen, zu bekämpfen?

Ist es die Aufgabe von Banken, Konsumenten jegliche Eigenverantwortung zu nehmen und ihnen eine Konvertierung von variablen Krediten zu Fixzins-Krediten rückwirkend anbieten zu müssen?

Nein, nein, nein. Ist es nicht.

Es ist nicht unsere Aufgabe, all das zugeschoben zu bekommen und zu lösen, wozu Politik und oder Gesellschaft nicht willens oder imstande sind. Genug damit. Wir haben genug davon.

Und was tun Führungskräfte und Unternehmer, die genug haben?

 Richtig, sie unternehmen.
Deshalb haben wir etwas unternommen und klären die Menschen auf, dass Umwelt und Umsatz kein Widerspruch sind. Dass schwarze Zahlen und grüne Agenda kein Widerspruch sind. Dass wir – die Industrie, die Balance herstellen können, weil wir NEU DENKEN. Immer schon. Unsere Industrie denkt neu. Ich bitte Sie, diese Botschaft auch als Versuch zu verstehen, unser Engagement in Österreich und in Europa weiterhin zu rechtfertigen.

Wenn wir die europäischen Medien zu Beginn dieses Jahres analysieren, lauten die beherrschenden Worte „Krieg“, „Inflation“ und „Rezession“. Hinzu kommen „Fachkräftemangel“, „Staatsschulden“ und „Untersuchungsausschuss“. Wenn es sich um ein Bild handeln würde, das wir mit diesen Begriffen zu zeichnen hätten, wäre es wohl ein sehr graues Gemälde. Wer kann dieses düstere Bild als berechtigter Stimmungsaufheller mit Farbe anreichern? Wir werden das sein. Es werden wir sein müssen. Wir, die Industrie. Wir, die Führungskräfte dieses Landes. Der deutsche Zukunftsforscher Sven Gabor Jansky hat im November auf unsere Einladung einen wirklich inspirierenden Workshop mit den Personalleiterinnen und Personalleitern unserer Mitgliedsbetriebe in Graz gehalten. Und uns am Ende die Frage gestellt, ob wir denn die Zukunft lieben?

Ich bin überzeugt: Unsere Aufgabe und Wahrnehmung als Führungskräfte in der Industrie ist es, die Zukunft zu lieben. Nur so können wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen und mit ihnen unsere Unternehmen zu einem wichtigen Teil einer guten Zukunft machen.

Selbiges gilt für die Politik, die das Land insgesamt mitnehmen muss.

Lieben wir die Zukunft. Lieben wir 2024.